Das Gedenken an die Opfer der Kriege und Gewaltherrschaften am Volkstrauertag kann in diesem Jahr nicht wie in den Jahren zuvor am Ehrenmal stattfinden.
Auch der Gottesdienst und das nach dem Gedenken geplante Dorfcafé finden nicht statt.
Seit mehr als sieben Jahrzehnten genießen wir in Deutschland bereits das Privileg, ohne Krieg leben zu dürfen. Der Volkstrauertag bietet die Hoffnung, dass sich die Menschen in Frieden treffen und miteinander leben.
Deshalb möchte ich auch trotz der derzeitigen Umstände nicht darauf verzichten, das Gedenken an die Opfer von Gewaltherrschaften und die Friedensbotschaft in Erinnerung zu rufen. Insbesondere hängt auch die Zukunft unserer jüngeren Generation vom Frieden hier bei uns und in der Welt ab.
Die Ortsgemeinde wird daher einen Kranz am Ehrenmal niederlegen, jedoch ohne Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger.
Meine für das Gedenken angedachte Ansprache möchte ich Ihnen auf diesem Wege zum Lesen zukommen lassen.
Hoffen wir, dass wir am nächsten Volkstrauertag wieder zu alten Gewohnheiten zurückkommen und den Opfern gemeinsam gedenken können.
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
jedes Jahr im November gedenken wir zusammen hier am Ehrenmal den Opfern von Kriegen und Gewaltherrschaften.
In diesem Jahr unter besonderen Umständen – die Corona-Pandemie lässt vieles nicht zu. Dennoch möchte ich nicht darauf verzichten, den Opfern der Gewaltherrschaften zu gedenken und die Friedensbotschaft in Erinnerung zu rufen – wenn auch in verkürzter Form.
Das Ende des 2. Weltkrieges jährte sich in diesem Jahr zum 75. Mal. Wir dürfen hier in Deutschland in Freiheit, Frieden und Demokratie leben. Dies ist nicht überall in der Welt so.
Ursprünglich als Gedenktag der gefallenen Soldaten im ersten Weltkrieg angedacht, von den Nationalsozialisten ab 1935 als "Heldengedenktag" deklariert, wird der Volkstrauertag immer mehr zum Volksfriedenstag.
Es geht nicht darum, militärische Siege zu feiern oder militärische Handlungen zu verherrlichen; es geht beim Volkstrauertag neben dem Gedenken an die Opfer auch um ein ganz starkes Friedenssymbol.
Wir gedenken am Volkstrauertag all der Menschen, die
· durch Krieg und Vertreibung,
· durch Gewalt und Gewaltherrschaft
ihr Leben lassen mussten.
Die Namen unserer Mitbürger, die in den beiden Weltkriegen ihr Leben lassen mussten, sehen wir auf der Säule und den Tafeln.
Und wir gedenken derer, die wegen
· ihrer Überzeugung, Religion oder Rasse
verfolgt, geschunden und ermordet wurden.
Die schrecklichen Kriege und Gewaltherrschaften des letzten Jahrhunderts haben große Zerstörung und unsägliches Leid gebracht.
Damit die Toten nicht schweigen, damit wir ihre mahnende Stimme hören, gibt es den Volkstrauertag.
Der Volkstrauertag ist eine Warnung vor der Gewaltherrschaft und ein Appell an den Frieden.
Der Frieden ist jetzt vielleicht noch stärker im Vordergrund als früher, sieht man auf die Krisen und Kriege dieser Welt.
Wir werden auch heute noch jeden Tag mit Gewalt konfrontiert: sei es im Fernsehen, im Radio, in der Zeitung, im Internet. Es ist erschreckend, dass wir uns fast schon an solche Nachrichten gewöhnt haben. Viele Menschen müssen aufgrund von Hass und Feindseligkeit ihr Leben lassen.
Weltweit gibt es eine Vielzahl von Kriegen und Konflikten; auch Europa ist nicht frei von Krieg.
Deutsche Soldatinnen und Soldaten riskieren immer noch ihr Leben und ihre Gesundheit indem sie sich an Auslandseinsätzen beteiligen. Wünschen wir ihnen wie auch allen anderen, dass sie nach ihrem Einsatz ihre Fähigkeit, Freude zu empfinden, singen und lachen zu können, nicht verlieren.
Unsere Gedanken sind heute auch bei all den Menschen, die durch Krieg, Vertreibung, Gewalt und Gewaltherrschaft bedroht sind und bei all denen, die aus Verzweiflung ihr Heimatland unter großen Gefahren verlassen.
Wir vergessen jene nicht, die wegen ihrer Religion oder Rasse bedroht werden.
Auch derer, die damals im Zusammenhang mit dem Mauerbau in unserem Land Opfer einer Gewaltherrschaft geworden sind, eingeschüchtert wurden und Jahre in Gefängnissen verbracht haben, weil sie einem politischen System kritisch gegenüber gestanden haben wollen wir heute gedenken. Der Mauerfall jährte sich im letzten Jahr zum 30. Mal, der 3. Oktober erinnert als deutscher Nationalfeiertag in diesem Jahr zum 30. Mal an die deutsche Wiedervereinigung.
Wir müssen weiter für die Demokratie streiten und Mauern in der Gesellschaft einreißen: Mauern aus Frust, Mauern aus Wut und Hass, Mauern der Sprachlosigkeit und der Entfremdung.
Gerne komme ich noch einmal auf das Zitat von Jakob Saß, der uns im letzten Jahr besucht hat, den Autor des Buches über den KZ-Kommandanten Adolf Haas, der maßgeblich an der Zerstörung der Synagoge in Mogendorf 1938 beteiligt war, zurück. „Denn nur eine engagierte Gesellschaft, die fähig ist, in Vielfalt und Demokratie ihre Stärke zu erkennen, das heißt, nur eine Gesellschaft, die sich selbst angegriffen sieht, wenn ein Schwarzer, ein jüdischer Kindergarten, ein türkischer Imbiss oder ein Heim für Flüchtlinge angegriffen wird, nur eine solche Gesellschaft bleibt gegen rechtsextreme Ideologie immun.“
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
der Volkstrauertag ist einer der stillen Gedenktage im November, ein Tag des Innehaltens, der Einkehr und des Mitfühlens.
Heute geht es um Erinnerungen – Erinnerungen an all die Opfer, die uns mahnend ein Zeichen geben, zu welchen Auswüchsen Gewaltherrschaft fähig ist.
Nur in Erinnerung dessen wird uns immer wieder bewusst, wie wertvoll unser Leben ist und dass wir alles tun müssen, die Notwendigkeit friedlichen Zusammenwirkens der Menschen untereinander zu erkennen.
Der Volkstrauertag bietet daher auch die Hoffnung, dass sich die Menschen in Frieden treffen und miteinander leben.
Unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern. Unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.
Wir müssen die Erinnerung an die Toten von Krieg und Gewalt wachhalten und ein zeitgemäßes öffentliches Gedenken fördern, damit wir die Ursachen von Krieg und Gewalt erkennen und nicht vergessen, wie kostbar der Frieden ist.
Ich wünsche mir, dass dies den Menschen bewusst wird und die Teilnahme am Gedenken am Volkstrauertag auch für die jüngere Generation selbstverständlicher wird; die jüngere Generation, deren Zukunft vom Frieden abhängt.
Frieden fängt bei uns in der Gemeinde an – durch Respekt und Solidarität. Hass und Ausgrenzung müssen vermieden werden.
Die Toten ermahnen uns, mit den Flüchtlingen vor den Kriegen und der Gewalt in der Gegenwart menschlich umzugehen.
Wir müssen wachsam sein – und dies zum jetzigen Zeitpunkt und bei der derzeitigen politischen Entwicklung ganz besonders. Wachsam heißt, mit wachen Sinnen beobachten, ob sich die Welt gerade anschickt, einen Fehler zu begehen, insbesondere einen Fehler von früher zu wiederholen.
Appellieren wir auch an diejenigen, die in politischer Verantwortung stehen, Frieden zu sichern.
Säen wir Toleranz und Freundlichkeit und sorgen wir dafür, dass unsere Kinder in Frieden leben können.
Möge der Volkstrauertag zum Volksfriedenstag werden.
Nicole Hampel
Ortbürgermeisterin